Tiersymbolik in der christlichen Kunst
Was haben der Löwe, der Pelikan, die Taube, das Einhorn oder die Schlange vom Mittelalter bis weit über den Barock hinaus auf Werken der christlichen Kunst zu suchen? In diesem Vortrag spüren wir christlichen Interpretationen von Tieren nach, die auf Bibelstellen, Anekdoten und Beobachtungen aus der Antike beruhen und durch ihre spätere Verbreitung in ganz Europa Kulturgeschichte(n) geschrieben haben. Seit dem Zeitalter der Aufklärung geriet derartiges allegorisches Wissen jedoch weitgehend in Vergessenheit – nicht nur in Bezug auf die Symbolik von Tieren, sondern auch von Pflanzen, Gegenständen, Farben und Zahlen.
Ein Beispiel für die künstlerische Umsetzung von (Tier-)Symbolen aus der Bibel findet man auf Darstellungen der vier Evangelisten mit ihren Attributen Adler, Löwe, Stier und Mensch.
Ein weiteres Schlüsselwerk christlicher Tiersymbolik ist die antike Schrift ‚Physiologus‘, der Naturkundige. Sie enthält Geschichten zu Tieren, Bäumen und Steinen und deutet die ihnen darin zugesprochenen positiven und negativen Eigenschaften theologisch aus. Im Mittelalter entwickelten sich daraus und aus Isidor von Sevillas ,Etymologiae‘ (12. Buch) die beliebten Bestiarien, die den bisherigen Wissensschatz über die Tierwelt in sich vereinten, während in der Neuzeit neue Handbücher zur Sinnbildkunst aufkamen und in ihnen Charakteristika von Tieren auf menschliche Verhaltensweisen übertragen wurden. In der Kunst wurden Tiere also nicht immer um ihrer selbst willen abgebildet, sondern dienten oft der Erweiterung und Vertiefung der Bildaussage.
Anschauungsmaterial für die versteckte Botschaft der Tiere in der christlichen Kunst bieten Bibelszenen, Madonnenbilder, Heiligendarstellungen und Allegorien. Unser „zoologischer“ Streifzug durch Gottes Schöpfung führt uns in Kirchen und Museen und zeigt uns, dass auch Meister wie Dürer, Raffael, Vermeer oder Picasso aus dieser universellen Bildsprache schöpften.
Die Reihe wird fortgesetzt mit dem Vortrag „Tiersymbolik in der weltlichen Kunst“ (14. April 2021, 10.00 Uhr).
Eckdaten :
ca. 2. Jh. : Entstehung des ‚Physiologus‘, wahrscheinlich in Alexandria; war im Mittelalter und bis ins 16. Jahrhundert europaweit eines der beliebtesten Bücher.
12. bis. 14 Jh. Bestiarien (Tierbücher) : tatsächliche und vermutete Eigenschaften von Tieren und Fabelwesen werden moralisierend gedeutet.
um 1450/55 : Sano di Pietro, „Mariä Tempelgang“, Altenburg, Lindenau-Museum.
um 1475 : Antonello da Messina, „Hl. Hieronymus im Gehäus“, London, National Gallery.
um 1503 : Dürer, „Madonna mit den vielen Tieren“, kolorierte Federzeichnung, Wien, Grafische Sammlung Albertina.
1506 : Raffael, „Madonna mit dem Stieglitz“, Florenz, Uffizien.
um 1510/18 : Raffael, „Vision des Ezechiel“, Florenz, Palazzo Pitti, Gall. Pal.
ab 1593 : Cesare Ripa, „Iconologia“, Rom, ikonographisches, oft aufgelegtes und übersetztes Wörterbuch mit abstrakten Begriffen in Gestalt von Personifikationen mit Attributen, darunter auch Tiere; immenser Einfluss auf allegorische Darstellungen.
um 1671-74 : Vermeer, „Allegorie des Glaubens“, New York, Metropolitan Museum.
1961 : Picasso, „Friedenstaube“, Zeichnung, Plakatentwurf für einen Kongress der französischen Friedensbewegung.
teil 1
TIERSYMBOLIK IN DER CHRISTLICHEN KUNST
teil 2
TIERSYMBOLIK IN DER WELTLICHEN KUNST
MITTWOCH, 14. april
10:00 UHR
Ihre Dozentin
Sonja Lucas ist Kunsthistorikerin, Sachbuchautorin, Lektorin und Dozentin in der Erwachsenenbildung und lebt in Aachen. Im Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, für den sie seit rund 20 Jahren arbeitet, veröffentlichte sie unter anderem Wege zur Weihnacht. Entdeckungen in Deutschlands Denkmalen und Zu Gast im Denkmal. Historische Bauwerke bitten zu Tisch. Ihr besonderes Interesse gilt der Ikonographie, der Deutung von Motiven in der Kunst.
Lesetipps :
Dittrich, Sigrid und Lothar Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.-17. Jahrhunderts, Peter Imhof Verlag Petersberg 2004.
Impelluso, Lucia Die Natur und ihre Symbole. Pflanzen, Tiere und Fabelwesen (Bildlexikon der Kunst, Bd. 7), Parthas Verlag Berlin 2005.
Kirschbaum, Engelbert (Hg.) Lexikon der christlichen Ikonographie, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2012.
Der Physiologus. Tiere und ihre Symbolik, Anaconda Köln 2013.
Schmidt, Heinrich und Margarethe Die vergessene Bildersprache christlichen Kunst. Ein Führer zum Verständnis der Tier-, Engel- und Mariensymbolik, C. H. Beck München 2018.