Fürstengräber der Skythen
Im späten 9. und 8. Jahrhundert v. Chr. kommt es im gesamten eurasischen Steppenraum von Südsibirien im Osten bis zum Nordschwarzmeerraum im Westen zu tiefgreifenden Veränderungen. Ein kühler und feuchter werdendes Klima lässt in den zuvor noch sehr trockenen Steppengebieten eine äußerst nährstoffreiche Bewuchsdecke entstehen, die geradezu ideale Voraussetzungen für extensive Viehwirtschaft bietet. Auf dieser Grundlage bilden sich zunächst in Südsibirien hochmobile reiterkriegernomadische Viehzüchterverbände heraus. Im Verlaufe des späten 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr. verbreiten diese sich von der nördlichen Mongolei, Tuva und der Altai-Region über Kazachstan und den Südural bis in die Steppen des Vorkaukasus und des nördlichen Schwarzmeergebietes.
Dort treten sie in Kontakt mit den Griechen, die entlang der nördlichen Schwarzmeerküste ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. Kolonien gründen. Der griechische Geschichtsschreiben Herodot widmet diesen Reiterkriegern ausführliche Beschreibungen und nennt sie „Skythen“. Die Forschung bezeichnet deshalb die reiterkriegernomadischen Hinterlassenschaften der eurasischen Steppe zwischen dem 8./7. und 3. Jahrhundert v. Chr. als „skythisch“. Die tatsächliche ethnische Gliederung dieses immensen Raumes dürfte wesentlich komplexer gewesen sein, entzieht sich mangels schriftlicher Quellen aber weitgehend unserer Kenntnis. Der Begriff „skythisch“, wie er in der archäologischen Forschung verwendet wird, ist also in erster Linie kulturell und chronologisch zu verstehen, er bezeichnet eine gewisse kennzeichnende Lebens- und Wirtschaftsform, aber es ist kein klar umrissener ethnischer Begriff.
Zu den markanten Besonderheiten der skythischen Kultur in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet gehören erstens waffen- und reittechnische Neuerungen, die mit Pfeil und Bogen bewaffnete Reiterkrieger effektiv zur Wirkung kommen lassen. Zweitens kennzeichnet die Skythen eine besondere Kunstform, die das Tierbild, deren Abwandlungen sowie mythische Mischformen ins Zentrum stellt: der sogenannte Tierstil. Und drittens ist für die reiternomadische Kultur der Skythen eine noch nicht dagewesene soziale Differenzierung charakteristisch; die Führungseliten werden dabei in monumentalen Grabhügeln beigesetzt und mit prunkvollen Beigaben aus Gold und anderen Preziosen versehen. Dem Phänomen dieser „Fürstengräber“ wollen wir im Rahmen des Vortrages nachgehen und dabei bedeutende neuere Entdeckungen in zentralen Regionen des eurasischen Steppengürtels vorstellen.
Eckdaten :
Skythische Kultur bzw. skythische Periode : 9./8.-3. Jahrhundert v. Chr.
- frühskythische Stufe : 9./8.-7. Jahrhundert v. Chr.
- klassische skythische Stufe : 6.-3. Jahrhundert v. Chr.
Datierung einiger wichtiger skythischer Fürstengräber (von Ost nach West) :
- Arzhan 1, Tuva : spätes 9./8. Jahrhundert v. Chr.
- Arzhan 2, Tuva : Ende 7. Jahrhundert v. Chr.
- Barsuchij Log, Chakassien : 5./4. Jahrhundert v. Chr.
- Pazyryk, russischer Altai : 5./4. Jahrhundert v. Chr.
- Berel, kasachischer Altai : 4./3. Jahrhundert v. Chr.
- Ukok, russischer Altai : frühes 3. Jahrhundert v. Chr.
- Olon-Kurin-Gol, mongolischer Altai : frühes 3. Jahrhundert v. Chr.
- Filippovka, Südural : 4. Jahrhundert v. Chr.
- Kelermes, Nordkaukasus : 7. Jahrhundert v. Chr.
- Stavropol, Nordkaukasus : 4. Jahrhundert. v. Chr.
- Chertomlyk, Tolstaja Mogila, Solocha, alle Südukraine : 4. Jahrhundert v. Chr.
FREITAG, 30. april
10:00 UHR
Ihr Dozent
Prof. Dr. Hermann Parzinger ist habilitierter Prähistoriker und seit 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Bis heute leitet er Ausgrabungs- und Forschungsprojekte. Er veröffentlichte unter anderem Die Skythen im Verlag Beck Wissen, Abenteuer Archäologie. Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte, und Die frühen Völker Eurasiens. Von der Jungsteinzeit bis zum Frühmittelalter.
Lesetipps :
H. Parzinger, Die Skythen. Reihe Beck Wissen (München 2004, 20072, 20093).
K. Čugunov/H. Parzinger/A. Nagler, Der Goldschatz von Aržan. Ein Fürstengrab der Skythenzeit in der südsibirischen Steppe (München 2006).
W. Menghin/H. Parzinger/A. Nagler/M. Nawroth (Hrsg.), Im Zeichen des Goldenen Greifen. Königsgräber der Skythen (München, Berlin, London, New York 2007).
St. J. Simpson/S. Pankova (Hrsg.), Scythians. Warriors of Ancient Siberia (London 2017).