DER FRÜHLING IN DER KUNST

„Frühling läßt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte (…). Frühling, ja du bist's! Dich hab‘ ich vernommmen.“ Das alljährliche Wiedererwachen der Natur, wie es der Dichter Eduard Mörike 1829 so feinsinnig beschreibt, ist auch heute noch für jeden spürbar, der in der gemäßigten Klimazone lebt. Vielfältige Ausdrucksformen für das Phänomen der Jahreszeiten findet man nicht nur in Dichtung und Musik – etwa Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ –, sondern auch in der Kunst. Denn darin spiegeln sich der Rhythmus des Jahreslaufs, die ewige Wiederkehr und das Bewusstsein, selbst Teil der Geschichte zu sein.

Bereits die antiken Künstler verkörperten die Jahreszeiten durch mythologische Gestalten oder Personifikationen, d. h. Figuren mit Attributen wie Blumen, Früchten und Gegenständen. Im Mittelalter kamen Darstellungen der zwölf Monate auf, oft veranschaulicht anhand der jeweiligen bäuerlichen Arbeiten bzw. aristokratischen Vergnügungen. In den Monatsbildern im Stundenbuch des Herzogs von Berry hielten die Brüder von Limburg um 1416 erstmals auch Landschaften im jahreszeitlichen Wechsel fest.

1565 steigerte Pieter Bruegel d. Ä. die Tradition der Kalenderillustration in seinem Jahreszeitenzyklus ins Monumentale. Die Jahreszeiten wurden seit der Renaissance neben den Elementen, Kontinenten, Sinnen etc. ein beliebtes Sujet in der Ausstattung von Gebäuden des Adels wie des Bürgertums, wobei Arcimboldos verblüffende Kompositköpfe bis heute sicherlich am ungewöhnlichsten sind. Singulär in seiner Rätselhaftigkeit steht jedoch ein Hauptwerk der italienischen Renaissance: Botticellis über 2 x 3 Meter großes Gemälde Primavera (Frühling).

Auch wenn sich im Barock der Motivschatz der Jahreszeiten nach dem Vorbild von Ripas Iconologia, dem Handbuch zur Gestaltung von Personifikationen, vereinheitlichte, kam es auch hier zu originellen Lösungen, wie Ferdinand Tietz‘ Skulpturengruppe des Frühlings im Rokokogarten Veitshöchheim. Einen wahren Triumph des Frühlings feierte schließlich auch der Impressionismus, Symbolismus und Jugendstil.

In unserer vierteiligen Vortragsreihe wollen wir die jeweilige Jahreszeit mit den Augen der Künstler betrachten, um sie darüber hinaus in Museen, Schlössern und Parks identifizieren und entsprechend würdigen zu können – auch in Wechselwirkung mit den Freuden eines Spaziergangs in der Natur.

Eckdaten :

frühe 1480er Jahre :  Sandro Botticelli, Primavera, Uffizien, Florenz.

1565 : Pieter Bruegel d. Ä., Der düstere Tag (Vorfrühling), Kunsthistorisches Museum Wien.

1573 : Giuseppe Arcimboldo, Der Frühling, Paris, Musée du Louvre.

ab 1593 : Cesare Ripa, ,Iconologia‘, Rom, ikonographisches Wörterbuch mit abstrakten Begriffen in Gestalt von Personifikationen mit Attributen, darunter auch die Jahreszeiten; Einfluss bis ca. 1810.

um 1620–22 : Jan Brueghel d. Ä. und Hendrik van Balen, Fruchtgirlande mit Cybele (Cybele empfängt Gaben von den personifizierten Vier Jahreszeiten), Den Haag, Mauritshuis.

1765/66 : Ferdinand Tietz und Werkstatt, Allegorie des Frühlings, Sandsteinskulptur aus dem Rokokogarten Veitshöchheim, Mainfränkisches Museum Würzburg.

1887 : Claude Monet, Felder im Frühling, Staatsgalerie Stuttgart.

1890 : Vincent van Gogh, Blühende Mandelbaumzweige, Van Gogh Museum, Amsterdam.

1897 : Heinrich Vogeler, Frühling (Porträt von Martha Vogeler), Haus im Schluh, Worpswede.

Um 1912 : Franz von Stuck, Frühling, Hessisches Landesmuseum Darmstadt.

Ihre Dozentin

Sonja Lucas ist Kunsthistorikerin, Sachbuchautorin, Lektorin und Dozentin in der Erwachsenenbildung und lebt in Aachen. Im Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, für den sie seit rund 20 Jahren arbeitet, veröffentlichte sie unter anderem Wege zur Weihnacht. Entdeckungen in Deutschlands Denkmalen und Zu Gast im Denkmal. Historische Bauwerke bitten zu Tisch. Ihr besonderes Interesse gilt der Ikonographie, der Deutung von Motiven in der Kunst.

Lesetipps :

Allegorie. Die Sprache der Bilder, Ausstellung Residenzgalerie Salzburg 2017 (Beiträge von Erika Oehring und Alexandra Hanzl S. 57–96).

Bredekamp, Horst Sandro Botticelli: La Primavera. Florenz als Garten der Venus, Wagenbach Verlag, Berlin 22009.

Herold, Inge Pieter Bruegel. Die Jahreszeiten, Prestel Verlag, München 2002.

Greub, Thierry (Hg.) Das Bild der Jahreszeiten im Wandel der Kulturen und Zeiten, Wilhelm Fink Verlag, München, Paderborn 2013 (auch online verfügbar).