der herbst in der Kunst

„Die Tage werden kurz, die Nächte lang, / Die kranke Erd‘ erträgt nicht mehr die Lust, / Da flammt der Baum im Herbst, sich unbewußt / Mit rotem Blatt – und wird vom Wunder bang!“ Achim von Arnims Gedichtzeilen von 1810 zeugen von der Ambivalenz, die diese Übergangszeit vom Sommer zum Winter in sich birgt: Da ist zum einen die Freude an der bunten Laubfärbung, an den letzten, wärmenden Sonnenstrahlen, dem Erntesegen und der Jagd, aber zum anderen auch die Melancholie angesichts von Regentagen, Nebelschwaden, der bevorstehenden Kälte und der unausweichlichen Endlichkeit allen Lebens.

Auch Kunstwerke, die diese Jahreszeit thematisieren, nehmen ungefähr zeitgleich mit Achim von Arnim diese Ambivalenz auf, wobei sie die beiden früheren Bildtypen immer mehr ablösen. Bei diesen handelt es sich einerseits um Personifikationen, die seit der Antike die vier Jahreszeiten verkörpern. Die Figur des Herbstes ist entlehnt von Bacchus, dem römischen Gott des Weines und der Fruchtbarkeit, und/oder seinem Gefolge, ergänzt um Weinreben, Musikinstrumente und bisweilen sogar einem Ziegenbock. Andererseits ist der Herbst seit dem Hochmittelalter Bestandteil von Monatsdarstellungen, die mit ihren jeweils typischen Arbeiten den Menschen an seine Aufgaben im Jahreslauf erinnern, etwa im September und Oktober an die Weinernte und die Jagd, kombiniert mit den Tierkreiszeichen. Monatsdarstellungen finden nicht nur im sakralen Bereich Anwendung, wie im Stundenbuch des Duc de Berry, sondern auch im öffentlichen Raum, beispielsweise in Perugia auf den Reliefs der Fontana Maggiore von Niccolò und Giovanni Pisano.

1565 steigerte Pieter Bruegel d. Ä. die Tradition der Kalenderillustration in seinem einst sechsteiligen Jahreszeitenzyklus ins Monumentale. Seit der Renaissance wurden die Jahreszeiten neben den Elementen, Kontinenten, Sinnen etc. ein beliebtes Sujet in der Ausstattung von Gebäuden des Adels wie des Bürgertums, wobei Arcimboldos verblüffende Kompositköpfe bis heute sicherlich am ungewöhnlichsten sind. In prachtvoller Fülle kamen im Barock die Vorschläge für Personifikationen aus Cesare Ripas Iconologia zur Anwendung – von Gartenskulpturen bis zu Deckenmalereien. Eine weitere Dimension der Jahreszeiten, die Verbindung mit der Heilsgeschichte, bringt Nicolas Poussin in seiner Gemäldeserie im Louvre zum Ausdruck.

Im 19. Jahrhundert tritt die menschliche Figur gegenüber der Landschaft in ihren tages- und jahreszeitlichen Stimmungen im Bild mehr und mehr in den Hintergrund bzw. verschmilzt mit ihr. Gleichzeitig ist der Betrachter kein distanziertes Gegenüber mehr, sondern wird durch die in ihm geweckten Gefühle intensiv in die jeweilige Darstellung hineingezogen, wie uns im Herbst entstandene Werke von der Romantik über den Impressionismus bis hin zum Blauen Reiter veranschaulichen.

In unserer vierteiligen Vortragsreihe wollen wir die jeweilige Jahreszeit mit den Augen der Künstler betrachten, um sie darüber hinaus in Museen, Schlössern und Parks identifizieren und entsprechend würdigen zu können – auch in Wechselwirkung mit den Freuden eines Spaziergangs in der Natur.

Eckdaten :

1277–1278 : Niccolò und Giovanni Pisano, September, Oktober, November, Reliefs der Monate, Perugia, Fontana Maggiore.

1565 : Pieter Bruegel d. Ä., Die Heimkehr der Herde, Wien, Kunsthistorisches Museum.

1573 : Giuseppe Arcimboldo, Der Herbst, Paris, Musée du Louvre.

ab 1593 : Cesare Ripa, ,Iconologia‘, Rom, ikonographisches Wörterbuch mit abstrakten Begriffen in Gestalt von Personifikationen mit Attributen, darunter auch die Jahreszeiten; Einfluss bis ca. 1810.

1660–64 : Nicolas Poussin, Herbst oder Die Spione mit den Trauben des gelobten Landes, Paris, Musée du Louvre.

um 1822 : Caspar David Friedrich, Rabenbaum (Kahler Baum an der Küste Rügens), Paris, Musée du Louvre.

1856 : John Everett Millais, Herbstblätter, Manchester City Art Gallery.

1859 : Jean-François Millet, Angelusläuten, Paris, Musée d‘Orsay.

1890 : Claude Monet, Getreideschober, Potsdam, Museum Barberini, Sammlung Hasso Plattner.

1908 : Wassily Kandinsky, Herbst in Murnau, 1908, Privatsammlung.

FREITAG, 01. OKTOBER 

10:00 UHR

Ihre Dozentin

Sonja Lucas ist Kunsthistorikerin, Sachbuchautorin, Lektorin und Dozentin in der Erwachsenenbildung und lebt in Aachen. Im Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, für den sie seit rund 20 Jahren arbeitet, veröffentlichte sie unter anderem Wege zur Weihnacht. Entdeckungen in Deutschlands Denkmalen und Zu Gast im Denkmal. Historische Bauwerke bitten zu Tisch. Ihr besonderes Interesse gilt der Ikonographie, der Deutung von Motiven in der Kunst.

Lesetipps :

Battistini, Mathilde Symbole und Allegorien, Parthas Verlag, Berlin 2004.

Herold, Inge Pieter Bruegel. Die Jahreszeiten, Prestel Verlag, München 2002.

Greub, Thierry (Hg.) Das Bild der Jahreszeiten im Wandel der Kulturen und Zeiten, Wilhelm Fink Verlag, München, Paderborn 2013 (auch online verfügbar).