Die Schweiz : Geschichte einer unwahrscheinlichen Staatsbildung
Der Nationalstaat Schweiz ist das Überbleibsel eines spätmittelterlichen Bündnisses, der Eidgenossenschaft. Alle vergleichbaren Gebilde, etwa die Hanse, sind zerfallen. Auch die wenigen anderen vormodernen Republiken haben nicht als unabhängige Staaten überlebt: Venedig, Genua oder die Vereinigten Provinzen der Niederlande, die sich nur als Monarchie in die Neuzeit hineinretten konnten. Ebenso verschwanden zumeist die anderen Staaten, die sich über Bergkämme hinweg gebildet hatten, die später zu „natürlichen Grenzen“ stilisiert wurden, etwa Navarra oder Savoyen. Schließlich zerschlug der Nationalismus die mehrsprachigen Imperien zu Kleinstaaten mit nur noch einer Nationalsprache und einem eindeutigen politischen Zentrum. Trotzdem blieb der viersprachige Staatenbund der Eidgenossenschaft auch in der napoleonischen Umbruchphase erhalten. Von 1798 bis 1848 machte sie einen revolutionären Umbruch durch, der es ihr ermöglichte, mit einer modernen demokratischen Verfassung die Herausforderungen der modernen Industriegesellschaften zu meistern. Erstaunlicherweise wurde die Schweiz auch nicht in die Deutsch-Französischen Konflikte hineingezogen, die in zwei Weltkriegen gipfelten. Das Selbstbild einer neutralen und prosperierenden Friedensinsel verklärt die eigenen Leistungen, übersieht eigene strukturelle Probleme und überdeckt die Abhängigkeiten von einer europäischen Friedensordnung. Dennoch ist es ein lohnenswertes Unterfangen, sich zu fragen, wie diese unwahrscheinliche Staatsbildung gelingen konnte. Das geschieht anhand von entscheidenden Daten und Ereignissen der schweizerischen Geschichte.
Eckdaten :
1291 : Eine Gründung, die es nicht gab.
1499 : Schwabenkrieg.
1515 : Die Niederlage von Marignano.
1523 : Reformation und konfessionelle Spaltung.
1648 : Die Exemtion vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
1798 : Französische Invasion und Einheitsstaat.
1803 : Napoleons Mediationsverfassung.
1815 : Neutralität und neue Kantone.
1848 : Gründung des Bundesstaats.
1918 : Landesstreik.
1939 : Die Erfahrung des Nationalsozialismus.
1989 : Orientierungslosigkeit in einem befriedeten Europa.
Ihr Dozent
Thomas Maissen, Prof. Dr., 1962, ist Direktor des Deutschen Historischen Instituts Paris. Nach Studien in Basel, Rom, Neapel und Paris wurde er in Basel promoviert und von 1993-1995 Assistent an der Universität Potsdam. Von 1996 bis 2004 war er als Mitarbeiter der «Neuen Zürcher Zeitung» zuständig für historische Analysen, von 2002 bis 2004 Assistenzprofessor an der Universität Luzern. 2002 wurde er in Zürich habilitiert mit der Arbeit «Die Geburt der Republik. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft» (Göttingen 2006, 2. Aufl. 2008). Von 2004 bis 2013 war er ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg und dort zuletzt Direktor des Exzellenzclusters «Asia and Europe». Seit 2006 ist er Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Er war Professeur invité an der EHESS Paris (2009), Fellow am Institute for Advanced Study, Princeton (2010), am Basler Forschungskolleg „Legitimität und Religion“ (2009-2011) und am Marsilius-Kolleg Heidelberg (2012/13).2005 veröffentlichte er «Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose Vermögen und die Schweizer Weltkriegsdebatte 1989-2004», 2010 erschien im Verlag hier+jetzt seine erfolgreiche «Geschichte der Schweiz» (5. Auflage 2015), 2012 die illustrierte «Schweizer Geschichte im Bild» und 2015 «Schweizer Heldengeschichten – und was dahinter steckt» (4 Auflagen 2015), außerdem 2013 seine «Geschichte der Frühen Neuzeit» (Beck Wissen) und «Why China did not have a Renaissance – and why that matters» (mit Barbara Mittler, München 2018).
Lesetipps :
Georg Kreis (Hrsg.): Die Geschichte der Schweiz. Schwabe, 2014.
Thomas Maissen : Geschichte der Schweiz. Hier + jetzt, 2010.
Thomas Maissen : Schweizer Heldengeschichten – und was dahintersteckt. Hier + Jetzt, 2015.
Jakob Tanner: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. Beck, 2015.