STRASSBURG UND DIE REFORMATION im oberdeutschen – schweizerischen Kontext

Fast drei Jahrzehnten lang war Straβburg das wichtigste Zentrum der oberdeutschen Reformation. Obwohl Nürnberg und Augsburg mehr Einwohner hatten und auch in wirtschaftlichen und kulturellen Hinsicht blühende Städte waren, wurde Straβburg in den zwanziger und dreissiger Jahren einen Angelpunkt der frühen reformatorischen Bewegung, besonders dank seinem hochangesehenen Politiker und Diplomat, Jacob Sturm, und den zwei Hauptreformatoren Martin Bucer und Wolfgang Capito, die unermüdlich durch Deutschland und Schweiz reisten, um die protestantischen Positionen zu klären und zu ermuntern, wobei es öfters Probleme gab mit Luther, Melanchthon und die lutherischen Fürsten, sowohl im theologischen wie im politischen Bereich. Bis anfangs der dreissiger Jahren waren die Straβburger eng mit dem Zürcher Reformator Zwingli befreundet und waren mehr oder weniger die Anreger der gemeinsame Politik der süddeutschen Reichsstädten. Nach Zwinglis Tod 1531 musste man aus Vorsicht und Realpolitik den Anschluβ mit den lutherischen Fürsten suchen und fand ihn im Schmalkaldischen Bund 1531, der explizit als defensiver Verband gegen die Umtriebe zur Restauration des Katholizismus im ganzen Reich des Kaisers Karl des Fünften gegründet wurde.

Die Reformation in der Stadt war auch einen komplizierter Vorgang : von 1524 ab waren wohl die Katholiken nicht mehr im Stande, den Werdegang der Reformation zu stoppen, aber bald nachher gestalteten sich Opponentengruppe – die sogenannten Dissidenten – die sehr kritisch in theologischer Hinsicht waren, insbesondere was die Säuglingstaufe betrifft (Täufer) oder waren miβtrauisch, was die Gestaltung der neuen Kirche betrifft : sie wollten kein neues « Caesaro-Papismus ». Nur nach dem Synodus von 1533 konnten die Prediger und die Obrigkeit sie besiegen, oft durch Verbannung.

In diesen Jahren hat die Stadt vieles im sozialen, ärtzlichen und schulerischen Bereich getan, aber was wirklich über die Grenzen groβartig wirkte war die durch Bucer und Sturm vorbereitete Schöpfung des Gymnasium, das durch die Leitung des hervorragenden Humanisten Johann Sturm eine europäische Berühmteit gewann.

Eckdaten :

1523 : Erste Straβburger Reformationsschrifft : « Christliche Verantwortung » vom Münsterpfarrer Matthäus Zell. Ankunft von Martin Bucer und Wolfgang Capito, die zwei Hauptreformatoren von Straβburg.

1524 : Durchbruch der Reformation : Auseinandersetzungen der evangelischen Prediger mit den katholiken Murner und Treger ; diese müssen die Stadt verlassen. Messe in deutscher Sprache, Abendmahl in zweierlei Gestalt für die Laien. Erster allgemeiner Bildersturm in den Kirchen, durch einen radikalen Teil der Bevölkerung, mit ziemlich moderaten Warnungen des Rats.

1526 : Wie in Zürich, Aufbruch radikaler Tendenzen : Täufer, Spiritualisten, Antitrinitärer, « Epikuräer », die die zögernden Richtlinien der Straβburger Reformation kritisieren.

1529 : In Straβburg wird die Messe abgeschafft. Einführung der Reformation in Basel und Bern. Auf Einladung Philipps von Hessen, Marburger Gespräch zwischen den oberdeutschen und schweizerischen Reformatoren einerseits und die Lutheraner andererseits. Die Abendmahlslehre bleibt der Zankapfel zwischen den zwei Parteien.

1530 : Reichstag zu Augsburg. Übergebung dem Kaiser von drei evangelischen Bekentnisse : die Confessio Augustana der Lutheraner, die Fidei Ratio von Zwingli und die von Capito verfasste Confessio Tetrapolitana, von Straβburg, Konstanz, Lindau und Memmingen unterzeichnet.

1531 : Tod Zwinglis im Kappeler Krieg gegen die altgläubigen Orte. Straβburg schlieβt sich an den Schmalkaldischen Bund, wo die Lutherische Fürsten dominieren.

1533 : Synodalversammlung, wo Straβburgs evangelische Kirche wirklich veranstaltet wird. Verbannung oder Abgang der Hauptfiguren der Dissidenten.

1536 : Wittenberg Concordia zwischen Luther und Bucer.

1538 : Eröffnung des Gymnasium durch Johann Sturm. Calvin als Flüchtling in Straβburg.

1547-1548 : Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischem Krieg. Der Kaiser führt das Interim ein : die protestantische Staaten und Städte müssen manche katholischen Kirchen wiederöffnen. Bucer muβ die Stadt verlassen und begibt sich nach Cambridge. Anfänge der allmähliche « Lutheraniesierung » von Straβburg.

Ihr Dozent

Frank Muller ist in Strassburg geboren. Er hat zuerst Psychologie und Soziologie studiert und arbeitete als Psychologe und Schul-und Berufsberater in den siebziger und achziger Jahren. Dann hat er Geschichte und Kunstgeschichte studiert und promovierte 1990 über Heinrich Vogtherr den Ä., einen Künstler und Schriftsteller der Reformationszeit. Ab 1993 hat er Kunstgeschichte an der Universität Besançon gelehrt und von 2003 war er Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit in Nancy und in Strassburg. Seit 2011 ist er emeritiert. Er hat auch Ausstellungen geleitet. 

Er hat mehrere Bücher und zahlreichen Artikel verfasst, inbesondere über Kunst und Reformation in Deutschland und in den Niederlanden. Sein letztes Buch ist die erste französische Monographie über Hans Baldung Grien (2019).

Lesetipps :

Marc Lienhard – Jacob Willer, Straβburg und die Reformation, Kehl, Strasbourg, Basel, Morstadt Verlag, 1982.

Martin Greschat, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit, München, Beck, 1990.

Martin Bucer, Strasbourg et l’Europe, Ausstellungskatalog (Hrsg. Frank Muller – Christian Krieger), Strasbourg, Eglise Saint-Thomas, 1991 (zweisprachig).

Frank Muller, Images polémiques, images dissidentes. Art et Réforme à Strasbourg (1520-vers 1550), Baden-Baden, Koerner Verlag, 2017 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 366).